F60.31 - Ein kleiner Einblick in meine Welt


Hallo Welt!

Ich bin 22 Jahre alt und wohne in nem kleinen Kuhdorf, das nicht der Rede wert ist.
Seit ich denken kann, weiß ich, ich bin "anders" als die anderen. Chaos zieht sich wie ein roter Faden durch mein Leben. Ich bin schon immer sehr impulsiv, Gefühle, egal ob positiv oder negativ, fühlen sich bei mir 1000 Mal stärker an als bei "normalen" Menschen. Mein tägliches Gefühlsleben ist die reinste Achterbahnfahrt. Meine Gefühle schwanken so oft vom einen ins andere Extrem, das ich oftmals selber nicht mitkomme. Stress und Ärger gehörten für mich eine lange Zeit zum täglichen Leben. Dazu kommen viele Ängste, die mich schon mein Leben lang, mal mehr, mal weniger stark ausgeprägt, begleiten.
Beziehungen, egal ob freundschaftlich, zu Männern oder zu meiner Familie waren immer eine einzige Katastrophe und immer sehr stürmisch und intensiv.
Dafür meistens nicht von langer Dauer. Da die Beziehung zu meinen Eltern mit den Jahren immer schwieriger wurde, zog ich mit 19 in meine eigene Wohnung. So konnte ich meine Krankheit ungestört ausleben und die Dinge nahmen ihren Lauf. Drei Jahre lang konsumierte ich jeden Tag Cannabis, wenn ich körperlich nicht mehr konnte kamen Amphetamine dazu und natürlich betrank ich mich jedes Wochenende bis zum Filmriss. In der Woche fand man mich meistens depressiv in meinem Bett in meiner vom Tageslicht abgeschirmten Wohnung. Über Tag verließ ich die Wohnung nur zum arbeiten. Am Wochenende fand man mich dann auf irgendeiner Party. Nicht mehr traurig und depressiv, sondern lebenslustig und fröhlich. Das krasse Gegenteil vom Rest der Woche. Und am Montag ging es dann wieder von vorne los, in meiner dunklen Wohnung. Ich lebte in meiner eigenen Welt und gestaltete sie mit meinen eigenen Mitteln so "schön" und erträglich wie es eben ging. Doch im Grunde genommen belog ich mich nur selbst und wurde einfach nur immer abgefuckter und unzufriedener mit Gott, der Welt und vor allem mit mir selbst und meinem Leben. Für mich hatte das alles keinen Sinn mehr und irgendwann habe ich die Suche nach diesem Sinn des Lebens eingestellt und beschlossen es einfach nur scheiße und zum kotzen zu finden. Ich entwickelte mich immer mehr zu einer leeren Hülle die nur noch vor sich hinvegetierte.

Mit 19 bekam ich dann die Diagnose "Emotional Instabile Persönlichkeitsstörung Typ Borderline". Kurz gesagt: Ich wurde zum Borderliner erklärt. So schlimm sich diese Diagnose im ersten Moment auch anhört. Damit bekamen meine ganzen Sorgen, Ängste und Schmerzen endlich einen Namen. Ich bin nicht mehr einfach nur "anders". Es hat einen Grund warum ich "anders" bin. Ich bin nicht mehr einfach "Die Gestörte". Das rotzfreche Mädchen das keinen Respekt hat.
Die immer böse guckende und schlecht gelaunte Anne. Das Kind bekam endlich einen Namen. Und mit der Diagnose bekam ich endlich die Möglichkeit mein Leben zum positiven zu wenden.

Aber leichter gesagt als getan. Mit 18 landete ich das erste mal in der Psychiatrie oder auch Klapse oder Lallaburg, wie ich diese Institution gerne nenne. Damals lautete die Diagnose einfach nur "Depressive Episode". Wegen des ganzen Terrors und dem ganzen Stress mit meiner Familie, meinem damaligen Freund und auch mit Freunden / Freundinnen wurde ich von den damaligen Ärzten als "Spätpubertierend" abgestempelt und fertig war die Sache. Da ich damals nicht richtig behandelt wurde und auch nicht einsah das ich krank bin verschlimmerte sich meine komplette Situation mit den Jahren nur noch. Aber wer sagt schon gerne von sich das er ne Schraube locker hat? Ich verdrängte die Tatsache das ich krank bin nach dem Klapsenaufenthalt wieder so schnell es nur ging. Ich sah nicht ein, das ich an mir arbeiten muss, obwohl andere mir Schaden zugefügt hatten. Tja, leider die falsche Einstellung. Ein Klapsenaufenthalt folgte dem nächsten und es war einfach kein Ende in Sicht. Ich hatte einfach nicht die Einsicht mir helfen zu lassen. Und so waren die ganzen Aufenthalte in den verschiedensten Klapsen im Umkreis von 100km mehr oder weniger nur Zeitverschwendung. Mehrere Schicksalsshläge kamen hinzu und trugen nicht gerade positiv zu meiner Sitaution bei. Im April 2011 bekam ich dann nach einem erneutem Besuch in der Lallaburg wegen einer akuten, etwas größeren Krise, die Diagnose Borderline. Trotzdem begab ich mich nicht in Behandlung und lebte weiter wie bisher. Ich sah immer noch nichts ein und redete mir ein, das alles alleine zu schaffen. Ich hoffte insgeheim, dass sich irgendwann alle Probleme in Luft auflösen und die Dinge von selber eine positive Wendung machen. Seit ich dann aber im Oktober 2012 einen Nervenzusammenbruch hatte bin ich jedoch wieder in Behanldung und war seitdem 3 Mal stationär in der Klapse. Ich kam damals an einen Punkt an dem ich wusste, ich kann nicht mehr, so geht es nicht weiter. Ich wusste das mein Leben nur noch Selbstmord auf raten ist und der Zeitpunkt gekommen ist Hilfe anzunehmen. Diesmal landete ich in einer Klinik, die eine spezielle Therapie für Borderline Patienten anbietet und war somit das erste Mal an der richtigen Stelle.

Doch erst der letzte Aufenthalt im April diesen Jahres brachte mir die Einsicht das ich krank bin. Psychisch krank. Und das dies heißt, dass nur ich selber mir helfen kann. Acht Wochen verbrachte ich diesmal in der Klapse. Und ich arbeitete während dieser Zeit wirklich hart an mir und meinen Problemen. Doch die Therapie dort war nur der erste und wichtigste Schritt. Ich habe dort viele Werkzeuge an die Hand bekommen um mit meinen Gefühlen und damit auch mit meinem kompletten Leben besser zurecht zu kommen.

Seit Juni 2013 bin ich wieder in Freiheit. Es ist keine Glasglocke mehr um mich herum, die mich schützt.
In der ich mich vor dem Leben verstecken kann. Nichts ist mehr wie es vor der Therapie war. Da ich mittlerweile clean bin habe ich viele alte Kontakte aufgegeben. Eigentlich habe ich bis auf 2 Menschen und meinen Job mein komplettes altes Leben aufgegeben. Mein Alltag ist nicht mehr wie vorher und ich muss ihn mit neuen Dingen füllen die nicht selbstschädigent sind. Ich kann und will nicht mehr einfach nur in den Tag hineinleben. Ich habe den Entschluss gefasst ein neues, für mich besseres Leben aufzubauen und von vorne anzufangen. Ich habe gerade das für mich (bis jetzt) größte Glück meines Lebens gefunden. Meinen Freund.
Vieles hat sich schon zum positiven verändert, auch weil ich ihn habe und er mich so unterstützt. Trotzdem bin ich erst am Anfang eines langen und steinigen Weges und muss jeden Tag hart und diszipliniert arbeiten, damit es mir gut geht. Doch in den letzten Monaten, habe ich gemerkt dass das Leben auch viele positive Seiten hat. Ich habe das Leben von einer anderen Seite neu kennengelernt und festgestellt, dass dieses und die Welt an sich gar nicht so scheiße sind wie ich es immer dachte. Ich habe erfahren, dass es auch Menschen gibt die es gut mit mir meinen und denen ich am Herzen liege. Ich habe gelernt, dass es sich lohnt für diese Dinge zu kämpfen. Der wichtigste und größte Schritt aber war es zu akzeptieren das ich krank bin. Unheilbar krank. Es wird mein restliches Leben so bleiben. Aber trotzdem habe ich alles in der Hand damit es besser wird und damit ich mit dieser Krankheit gut leben kann.
Ich habe akzeptiert, dass ich mein Leben lang mehr tun muss als "normale" Menschen , damit es mir gut geht und ich glücklich sein kann. Ich habe gelernt, dass das Leben wertvoll ist und zu kurz um es mit negativen Gedanken und abgefuckter Laune zu verschwenden.

Radikale Akzeptanz - Der wichtigste Bestandteil meiner Terapie. Ich habe gelernt nicht nur meine Krankheit, sondern auch die Vergangenheit zu akzeptieren. Ich lebe nur noch im Hier und Jetzt und versuche die Vergangenheit ruhen zu lassen. Ich verbringe meine Zeit nur noch damit den heutigen Tag so positiv wie es nur geht zu gestalten, meine Zukunft zu planen und meine Ziele und Träume zu verfolgen. Doch im Alltag ist dies viel schwieriger als es hier zu lesen ist. Immer wieder liegen Steine auf meinem Weg die ich beseitigen muss. Und obwohl es immer nur in ganz kleinen Schritten vorwärts geht fällt es mir von Tag zu Tag ein klein wenig leichter.

Zum einen möchte ich mit diesem Blog insbesondere meinen Freund, meine Familie und meine Freunde an meinem Weg in mein neues Leben teilhaben lassen.
Trotzdem ist dieser Blog öffentlich. Denn zum anderen möchte ich durch meine eigenen Erfahrungen und durch meine eigene Geschichte zeigen, dass das Klischee über Borderliner in der heutigen Gesellschaft so nicht richtig ist und oft ein falsches Bild auf Menschen mit einer Borderlinestörung wirft.
Dieser Blog dient nicht dazu Mitleid oder eine besondere Anerkennung für irgendetwas aus meiner Biografie zu erhaschen. Das Thema Borderline und die wirkliche Auseinandersetzung mit diesem ist einfach ein noch viel zu großes Tabu.
Ich möchte dieses Tabu brechen und mit Gerüchten und Vorurteilen über Menschen mit Borderline aufräumen. Ich möchte der Welt da draußen zeigen, dass wir nicht den ganzen Tag in einem dunklen Zimmer sitzen, uns die Arme aufschneiden und uns selbstbemitleiden. Nur um dann die ganze Aufmerksamkeit unserer Mitmenschen zu bekommen. Denn so ist es nicht. An Borderline erkrankt zu sein bedeutet viel mehr und ist viel komplexer als DAS.
Ich hoffe (und das ist eigentlich meine Hauptmotivation für diesen Blog) das ich hiermit dazu beitragen kann ein positiveres Bild über uns in die Welt hinaus zu tragen!

Viel Spaß beim Lesen. Und vielleicht solltet ihr auch noch wissen, dass ein tief schwarzer Humor und eine gewisse Selbstironie mir im Alltag oft dabei helfen an meiner eigenen Situation nicht zu verzweifeln.

Peace, A.




cocoinna am 19.Jul 13  |  Permalink
RESPECT!!!
Liebes, ich finde das soo wahnsinnig mutig von dir!!!

annibunt am 19.Jul 13  |  Permalink
Danke!! Hat mich auch ein wenig Überwindung gekostet, aber verkriechen bringt ja nichts. Außerdem würde ich einfach gerne mit diesen typischen Borderline Klischees aufräumen!! :-)

erdnuckelkullerkeks am 19.Jul 13  |  Permalink
heyllow
wow dein stück leben was du geschrieben hast ist echt hart.
das ist echt krass dass du erst vor kurzem möcht ich sagen eine diagnose bekommen hast.
ich wollt auch noch sagen ,
DANKE dass du mir eine chance gibst deinen weg zu verfolgen.
LG erdnuckel

erdnuckelkullerkeks am 19.Jul 13  |  Permalink
interessiert mich
dein blog hab ich schon aboniert um spannend weiter zu lesen.
kannst auch gern in meiinen blog schauen wenn du magst.
LG erdnuckel

enalein am 22.Jul 13  |  Permalink
Traurig aber wahr
Hallo mein liebes Kind,
ich finde es sehr gut das du den Mut hast so über deine Krankheit zu reden,
und ich wünsche Dir das dein Weg irgendwann einmal von Rosen bedeckt ist und nicht mehr von Dornen.
Viel viel Glück

Deine Mama

annibunt am 04.Aug 13  |  Permalink
Danke Mama!
Ich denke, der richtige Weg ist eingeschlagen ;-) Hab dich lieb!! :-*

kathanaseweis am 23.Jul 13  |  Permalink
wow, respekt liebe anne.
ein sehr sehr toller text, macht mir persönlich auch Mut wieder zurück ins Leben zu finden und mit der krankheit zu leben und daran zu arbeiten.
Finds super , öffnet einem wirklich die Augen !
Wünsche dir auch weiterhin noch alles Gute ! Du schaffst das schon, bist eine super nett starke person (:

annibunt am 04.Aug 13  |  Permalink
Lieblings-Katha!
Danke Katha :-) Wir müssen zusammenhalten und uns gegenseitig Mut machen :-) Freu mich schon auf unser Wochenende!!